dt/engl
Nachdenklich fahre ich langsam die Strasse vom Ostbahnhof Richtung Alex entlang. Das Wetter ist wunderbar und in der Luft liegt der zarte Geruch von feuchtem Laub. Die Sonne auf den Blättern zaubert einen warmen Altweibersommer Tag, der gerade erst beginnt. Es ist morgens und ich möchte ihn behalten – den Genuss, der in diesem Moment liegt und ich frage mich, warum ich mich davon gedrängt fühle, von meinem letzten Termin direkt zum Bauhaus Campus zu fahren und unmittelbar weiterzuarbeiten. Warum will ich nicht hier in der Sonne bleiben? Warum fühlt es sich so an als wäre das Nächste dringend zu erreichen?
Der Gedanke ist noch nicht ganz verhallt und so fahre ich nicht weiter gerade aus sondern biege an der Jannowitzbrücke nach rechts ab. Ich fahre über den Alexanderplatz Richtung Weinmeisterstrasse, vorbei an der Alten Schönhauser und biege ein in die Rosenthaler Strasse in der Nähe vom Hackeschen Markt. Vor einer Einfahrt, die zu einem versteckten kleinen Garten in einem Hinterhof führt, mache ich Halt, schließe mein Fahrrad an und gehe durch den Bogen in den Hof. Zwischen hohem Bampus liegt ein kleines asiatisches Teehaus – das Chén Chè. Ich möchte jetzt einfach nur eine Tasse wunderbaren heißen Tee trinken. Und bleiben.
Die Tasse voller kleiner zarter Rosen in heißem Wasser scheint alt zu sein. Sie hat Sprünge, kleine Risse, ist voller Patina und ihr fehlen ein paar kleine Stücke, die am Rand ausgebrochen sind. In der japanischen Ästhetik bezeichnet WABI SABI eine “Ästhetik des Unperfekten, das sich durch Asymmetrie, Rauheit, Unregelmäßigkeit, Einfachheit und Sparsamkeit auszeichnet. Jene Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit beweisen Achtung vor der Eigenheit der Dinge.“
Die Schwierigkeit der Formgebung, die die Wesensform einer Ästhetik ausmacht, liegt darin, exakt den Augenblick einzufangen, der diese prägt und dann unmittelbar aufzuhören. Den Kern der Ästhetik des Wabi Sabi herauszuarbeiten, ist ein rechtes Maß an gestalterischer Bescheidenheit und Schönheit. Es ist keine einfache Reduktion sondern ein Gestaltungskonzept, das die Eigenheit der Dinge betont. Ein Minimalismus, dem es an Bescheidenheit fehlt, fehlt es an Ästhetik.
Die vornehme Zurückhaltung, die in jener Ästhetik liegt, fasziniert mich und ich schweife in Gedanken in die Gestaltung meines Alltages und meiner Umgebung ab. Es entsteht ein Raum voll innerer Ruhe und ein Angezogensein zum Verweilen, zum Bleiben. Keine Überladung mit Informationen, Eindrücken, Ansprüchen und Gezerre überfordert und jagt mich. Die Ausdehnung jener Einfachheit auf das Design meines Tisches, meines Schlafplatzes und meiner Küche kann mir geben, was mir manchmal fehlt – Ruhe und Sein dürfen. In allen Augenblicken. In allem Unperfekten, in allem Rauen.
ENGLISH
I’m slowly driving along the road from Ostbahnhof towards Alex. The weather is wonderful and in the air lies the delicate smell of moist foliage. The sun on the leaves conjures up a warm Indian summer day that just starts. It’s morning and I want to keep it – the delight that lies at this moment and I wonder why I feel urged to go directly from my last appointment to the Bauhaus campus and to continue working immediately. Why don’t I want to stay in the sun? Why does it feel as if the next thing is urgently to be achieved?
The thought has not yet been completely resounded and so I’m not driving straight out but bending on the Jannowitzbrücke to the right. I drive over the Alexanderplatz towards the Weinmeisterstrasse, past the Alte Schönhauser and bend into the Rosenthaler Strasse near the Hackeschen Markt. Before a driveway that leads to a hidden little garden in a backyard, I stop, close my bike and go through the bow into the yard. Between high Bampus lies a small Asian teahouse – the Chén Chè. I just want to drink a cup of wonderful hot tea now. And stay.
The cup full of small, tender roses in hot water seems to be old. She has jumps, small cracks, is full of patina and her missing a few small pieces that have erupted on the edge. In Japanese aesthetics, WABI SABI refers to an “aesthetic of the imperfect, characterized by asymmetry, roughness, irregularity, simplicity and thrift. That lack of discernment and humility prove respect for the peculiarity of things. “
The difficulty of shaping, which is the essence of an aesthetic, is to capture precisely the moment that shapes it and then immediately stop. To work out the core of the aesthetics of Wabi Sabi is a right measure of design humility and beauty. It’s not a simple reduction but a design concept that emphasizes the peculiarity of things. A minimalism that lacks humility is lacking in aesthetics.
The genteel restraint that lies in that aesthetic fascinates me and I digress in thoughts into the design of my daily life and my surroundings. The result is a space full of inner peace and a being to linger, to stay. No overload with information, impressions, claims and tug overwhelms and chases me. The extension of that simplicity to the design of my table, my sleeping place and my kitchen can give me what I sometimes miss – rest and stay. At all moments. In all the imperfect, in all rough.