Vergangenen Montag traf ich mich mit einer langjährigen Freundin nach ihrem späten Feierabend und schlenderte mit ihr am Paul- Linke- Ufer in Berlin Kreuzberg entlang. Schnell kamen wir auf meinen derzeitigen Lebensstil, der sie wahnsinnig zu interessieren schien und so plauderten wir uns durch viele Gedanken. Je länger und intensiver wir darüber sprachen, desto überraschter schien sie darüber zu sein, dass so ein Lifestyle nicht zwangsläufig nur an einer beruflichen Qualitfikation als ITLer und einer Tätigkeit wie meiner (Aufbau eines IT Business) eng verbunden sein muss. Viele digitale Nomaden kommen aus einer völlig anderen Richtung und betreiben ein Business, dass zwar online läuft, seinen Schwerpunkt jedoch ganz woanders hat. Was sie alle eint, ist: ein selbstbestimmtes und freieres Leben zu führen.
Hunger und die Lust auf einen leckeren Kaffee blieben bei den intensiven Gesprächen nicht aus. Ich hatte auf meinen Touren durch Kreuzberg am Paul- Linke- Ufer eine richtige Perle entdeckt und wollte da unbedingt wieder hin. Der kleine Kiosk steht nahe beim Ufer und ist vollgepackt mit Köstlichkeiten. Unter seinem Vordach, das eine extrem gemütlich Atmosphäre zaubert, kann man sich mit einer leckeren Waffel und einem heißen Kaffee hinsetzen und den Leuten beim Flanieren zusehen.
Bei einem heißen Rhabarberpunsch, der wunderbar wärmte und mit seinem Aroma aus Zimt und Vanille den Gaumen erfreute, kamen wir zu ihre Herzensfrage, die sie schon eine Weile umtrieb: Wäre es ihr möglich, selbst mit dem Beruf als Yogalehrerin ein Nomadenleben zu führen und ihren Lebensunterhalt ortsunabhängig zu verdienen? Muss sie ihren Beruf ganz aufgeben obwohl sie ihn eigentlich mag, nur eben die Strukturen für sie nicht mehr passen?
Während wir die mega- leckeren, mit Käse überbackenen Waffeln aßen, diskutierten wir angeregt und malten eine Vision über ihr Leben als digitaler Nomade.
Im Gespräch fiel mir auf, wie tief viele Menschen davon geprägt sind, Lebensstile und Berufe als eine feste, unveränderliche und voneinander getrennte Instituionen zu begreifen. Individuelle Anpassungen erscheinen außerhalb der eigenen Reichweite und stoßen auf Skepsis, unkonventionelle Ideen irritieren.
Als mein Wunsch nach diesem Lebensstil noch eine abstrakte Idee war, war sie oft für meine Gesprächspartner keine ernstzunehmende Alternative, da ihr für sie die Substanz fehlte. Ein Einkommen ohne eine Anstellung, ohne festen Ort und ohne feste Strukturen war eben kein Job. Selbstbestimmung und Freiheit lebten die armen Freigeister in ihren Wohnwagen oder die Selbstversorger ohne Strom. Es war für sie so nicht lebbar.
Als ich trotz ihrer Kritik meine Ideen anfing zu realisieren, spaltete sich mein Bekanntenkreis in Oppositionelle, die versuchten, mein Vorhaben zum Scheitern zu bringen und Menschen, die mich wie in einem Zoo neugierig beobachten. Inzwischen lässt mein fester Wille und mein Mut, meinen Entschluss umzusetzen und einen Schritt nach dem anderen zu tun, immer mehr Menschen auf mich zukommen und fragen. Sie nehmen wahr, dass die Dinge, die sie für unmöglich hielten, machbar sind und ich mich auch selbst verändere, die Dinge anders wahrnehme und mit ihnen umgehe, meine Ängste sich verlieren und neue Themen hinzu kommen. Bei ihnen kommt an, dass das, was ich tue ein komplexer und umfassender Lifestyle ist, der auf einer bestimmten Lebensphilosophie aufbaut. Dort existiert nicht mehr ein isolierter Beruf.
Während wir uns durch ihren Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit reden, fallen bei ihr selbst gesetzte Grenzen ab. Aus ihrem steifen Berufsbild werden Ideen und Konzepte, die ihre Eigenheiten berücksichtigen, ihre Stärken begünstigen und die Schwächen und Dinge, die sie weniger mag, kompensieren kann. Ich glaube, dass es in Zeiten von Internet, Automatisierung, Outsourcing, Co- Working und Co- Founding nicht mehr notwendig ist, ein steifes Berufsbild aufrecht zu erhalten. Vor allem nicht, wenn es unglückliche Menschen produziert.
Ich merke, wie sie diese Gedanken nicht mehr los lassen. Wie es in ihr arbeitet und sie die Dinge hinterfragt. Morgen, wenn sie aufsteht, hat sich ein Gedanke in ihr festgesetzt. Nicht über einen neuen Beruf. Über einen anderen Lebensstil.